Pink, ja pink, sind alle meine Kleider

Ich stehe an der Straßenbahnhaltestelle und alles ist so grau. Die Wolken haben die Sonne verschlungen und tauchen die Welt in ein trübes, farbloses Licht. Auf der Straße vor mir rollt ein dunkles Auto nach dem anderen vorbei. In dem kleinen Park hinter mir ragen die blattlosen Gerippe von dürr aussehenden Bäumen lustlos in den Tag. Der magere und ziemlich matschige Rasen darunter kann nur als Braunfläche bezeichnet werden. In der kleinen Pfütze zwischen Bordstein und Fahrbahn, die der gestrige Schneeregen hinterlassen hat, spiegelt sich das Grau der Häuserwand gegenüber. Wo ich auch hinsehe, der Trübsinn und die schwarze Monotonie überziehen alles. Selbst die Menschen, die mit mir auf die Straßenbahn warten, verschmelzen in ihren dunklen Wintermänteln mit dem Hintergrund. Mir scheint, dieses elende, geschmackslose, nervenbetäubende Grau ist überall.

Abbildung verschiedener pinkfarbener Accessoires - eine Kette, Haarklemme, Gürtel - auf einem pinkfarbenen Untergrund

Dann fällt mein Blick auf meine Kleidung und plötzlich schleicht sich doch ein kleines Lächeln auf die von der Kälte aufgeplatzten Lippen: Eine Jacke in dunklem, aber kräftigem Pink konkurriert mit einer Hose in Grasgrün um die Aufmerksamkeit des Betrachters. Wenn ich mich von außen sehen könnte, würden mir außerdem mein türkisfarbener Rucksack und meine dunkelgrüne Mütze auffallen. Im Vergleich zu dieser grau getünchten Welt wirke ich vermutlich so fehl am Platz wie ein Rotweinfleck auf einem schneeweißen Sofakissen. Fast wünsche ich mir, dass die schwer aussehenden Wolken ihre feuchte Last auf uns Wartende herabfallen lassen, damit ich meinen Regenschirm herausholen kann. Der ist bunt und voller lustiger Schafe und möglicherweise geeignet, die trübe Stimmung zu vertreiben.

Nicht zum ersten Mal frage ich mich, warum sich die anderen eigentlich so farblos anziehen. Die Kleidung meiner Nachbarin ist schwarz. Dahinter steht jemand komplett in Anthrazitgrau. Daneben dunkelblaue Jacke, schwarze Hose. Drüben schwarze Jacke, braune Hose. Grau. Schwarz. Mehr Schwarz. Die Menschen fügen sich nahtlos in die Umgebung ein. Wie die Bäume ragen sie blatt- und lustlos in den Tag. Würden sie nicht ab und zu ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagern, man könnte sie für Statuen aus Stein halten. Mir kommen ihre Schritte schwer und müde vor, als wir schließlich in die Straßenbahn einsteigen.

Zugegeben, das trübe Wetter und der lange Winter schlagen uns wohl allen aufs Gemüt. Wir sehnen uns nach Licht, Wärme, Lachen. Wir wollen über eine blühende Frühlingswiese streifen, uns von den Sonnenstrahlen in der Nase kitzeln lassen und mit Freunden ein Picknick veranstalten. Herrlich wäre das! Stattdessen sitzen wir in dicken Wintermänteln in der ruckelnden Bahn und sehen zu, wie die Scheiben langsam beschlagen. Gute Laune verbreitet das nicht gerade. Warum also tragen nicht mehr Menschen kräftige, leuchtende und lebendige Farben statt in uniformen Grauschwarz genauso trüb auszusehen wie das Wetter? Das kann doch gar nicht gut für ihre Stimmung sein! Mir jedenfalls hilft es, wenigstens dank meiner Kleidung ein paar Farbtupfer in der Welt zu sehen. Das Grün meiner Hose erinnert mich an die seltsam weichen, frisch ausgetriebenen Spitzen von Nadelbäumen. Mein türkisfarbener Rucksack, jetzt auf meinem Schoß, erzählt von einem klaren Bergsee, der in der Sonne glitzert. Meine pinkfarbene Jacke leuchtet so bezaubernd wie die Pfingstrosen in unserem Garten. So in Tagträumen versunken verpasse ich beinahe meinen Ausstieg. Gerade noch rechtzeitig hüpfe ich aus der Straßenbahn auf den matschigen Gehsteig.

Hach Mist! Der olle graue Matsch hat sich prompt auf meiner Hose niedergelassen! So war das nicht geplant. Da muss ich wohl morgen eine andere Jeans anziehen. Mache ich doch gern. Sie ist nämlich knallig pink!